Impfpflicht - Unpraktikable Spaltung oder Pandemie-Brecher?

Am 02. Februar 2022 veranstaltete der FDP Kreisverband Rastatt einen „Online-Stammtisch“ zum Thema „Impfpflicht“. Zu Gast war Jochen Haußmann, MdL, parlamentarischer Geschäftsführer, stellvertretender Fraktionsvorsitzende und gesundheitspolitischer Sprecher der FDP/DVP-Fraktion im Landtag. Zu Beginn des Stammtisches wurde ein generelles Stimmungsbild bezüglich der allgemeinen Impfpflicht erhoben, welches folgendes Resultat hervorbrachte: 12 Prozent aller Beteiligten sprachen sich für eine allgemeine Impfpflicht aus, 82 Prozent sprachen sich wiederum gegen eine allgemeine Impfpflicht aus. Nach einer sachlich, konstruktiven Diskussion zusammen mit Jochen Haußmann, MdL, wurde ein erneutes Stimmungsbild eingefangen, wobei sich die Abstimmungsresultate nicht veränderten. Wir möchten nun ein neues Artikelformat, namens „Debattenarena“ ins Leben rufen. Hierbei sollen die verschiedenen Meinungen des Abends gegenüber gestellt werden. Dabei zeichnet sich das Format der „Debattenarena“ dadurch aus, dass die Pro- und Contra-Argumente zu einer konkreten Fragestellung von ihren Vertretern dargestellt werden, sodass es für den Lesenden möglich ist, sich aus den genannten Argumenten eine eigene Meinung zu bilden. Daher bietet sich dieses Format besonders für komplexe und strittige Fragen an. Wir werden dieses Format für zukünftige Fragestellungen fortführen.

Der FDP-Stadtverband Rastatt begrüßt das Vorgehen der Ampelparteien bei diesem hoch emotionalen Thema. Es ist richtig, das Thema als medizinethische Fragestellung in Form von fraktionsübergreifenden Gruppenanträgen zu diskutieren. In diesem Zusammenhang begrüßen wir die Aussetzung des Fraktionszwanges. Aber auch der Umgang der FDP-Bundestagsfraktion und der gesamten Bundespartei loben wir sehr. Gerade die intensive Debatte innerhalb der FDP wird unserer Meinung nach der erheblichen - und selbstverständlich mit einer Impfpflicht verbundenen - Beeinträchtigung rechtlich und moralisch geschützter Güter der Ungeimpften gerecht. Wir glauben, dass dieser Prozess, wie er aktuell geführt wird, wichtig für die Demokratie dieses Landes ist und würden es deshalb begrüßen, wenn auch die anderen Parteien sich der öffentlichen Diskussion stellten.
Kaum haben wir die 4. Welle überstanden, steht uns nun schon die Fünfte bevor. Doch wie soll es in Zukunft weitergehen? Wollen wir uns wirklich von Welle zu Welle hangeln? Das kann und darf nicht die Lösung für das Ende der Pandemie sein. Mit der Einführung der allgemeinen Impfpflicht ab 18 Jahren können wir den möglichen kommenden Pandemie-Wellen zuvorkommen und diese somit abschwächen/in ihrer Gefährlichkeit einschränken, wenn nicht sogar verhindern. Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Kathrin Helling-Plahr, zwei Bundestagsabgeordnete für die FDP, legten zu Beginn des Jahres 2022 zusammen mit den anderen Regierungsparteien einen fraktionsübergreifenden Gesetzesentwurf für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ab 18 Jahren vor. Was Wolfgang Kubicki als „Impfpflicht auf Vorrat“ bezeichnen würde, nennen Teile der FDP vorausschauendes und vernünftiges Handeln aus Respekt vor der Zukunft.
An die Empfehlung des deutschen Ethikrates, dass eine allgemeine Impfpflicht zur „Abwehr gravierender negativer Folgen möglicher Pandemiewellen“ nütze, schließen wir uns an. Diese Folgen beinhalten eine hohe Sterblichkeit, langfristige gesundheitliche Beeinträchtigung und einen drohenden Kollaps des Gesundheitswesens, wie wir ihn schon Ende 2021 erleben mussten. Dies gilt es in Zukunft zu verhindern, ein mögliches Mittel wäre hierfür die allgemeine Impfpflicht. Von vielen Seiten kommt jedoch die Argumentation, dass „gravierende negative Folgen“ künftiger Pandemie-Wellen aufgrund der milde verlaufenden Omikron-Variante nicht mehr zu befürchten seien.
Die Gefahr vor einer sogenannten „Delta-Omikron-Rekombinante“, auch „Deltakron“ genannt, besteht und ist nicht auszuschließen. Dies bestätigte Charité-Chefvirologe Dr. Christian Drosten im Januar 2022. Eine solche Variante verläuft so ansteckend wie Omikron und so tödlich wie Delta, was zu einem weiteren verheerenden Ausmaß führen würde. Das Vertrauen in die Politik nahm in den letzten Monaten großen Schaden, gerade was die Impfpflicht-Diskussion angeht. Noch vor Monaten wurde die allgemeine Impfpflicht ausgeschlossen, nun steht sie offen zur Debatte. Wie sieht es aber mit dem Vertrauen in die Politik aus, wenn solch eine Rekombinante im kommenden Winter auf die Bevölkerung trifft, obwohl man heute schon weiß, dass dieses tödliche Szenario im Rahmen des Möglichen liegt?
„Eine Impfpflicht wird es nicht geben. Nachrichten und Beiträge, die etwas anderes behaupten, sind falsch.“ Diese beiden Sätze twitterte das Bundesgesundheitsministerium am 07. Januar 2021. Ähnliche Behauptungen proklamierte es zur damaligen Zeit auch auf seiner Website. Und nun, vier Corona-Wellen, mehreren Mutationen und mehr als ein Jahr später, wird öffentlich über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht debattiert. Dabei ist oft davon die Rede, dass die Impfpflicht der „Weg aus der Pandemie“ sei, von einem „Akt der Solidarität“ ist die Rede. Letzteres lässt sich auf Basis heutiger Datenlagen nahezu komplett widerlegen. Eine Impfung liefert keine sterile Immunität, sondern dient allem voran dem Selbstschutz. Wer sich impft, der schützt sich selbst. Es ist jedoch mitnichten so, dass sich geimpfte Personen nicht mehr mit dem SARS-CoV2-Virus anstecken können, geschweige denn es nicht mehr weitergeben könnten. So vernünftig und wichtig es ist, sich gegen das SARS-CoV2-Virus impfen zu lassen, so unvernünftig ist es, eine Impfung zur moralischen Pflicht zur erklären und all jene zu stigmatisieren, die sich aus Gründen, die wir nicht teilen, sehr wohl aber akzeptieren müssen, gegen eine Impfung und damit gegen einen Selbstschutz entscheiden. Es kann nicht unser Ziel sein, dass eine Mehrheit bestimmt, was für eine Minderheit richtig ist und wie sich diese zu verhalten hat. Personen, die sich der Gefahr einer Corona-Infektion ohne Impfung aussetzen, mögen unvernünftig handeln. Doch am Ende handeln sie sich für sich selbst und gehen ihr eigenes Risiko ein. Der Staat kann den Bürgerinnen und Bürgern die Hand reichen, doch wenn sie diese nicht annehmen, dann ist das eine Individualentscheidung jedes einzelnen.
Nun mag man anführen, dass eine Impfung zumindest indirekt andere Menschen schütze, indem sie verhindert, dass unser Gesundheitssystem – man muss hier leider „mal wieder“ sagen – an seine Belastungsgrenzen komme und ungeimpfte Personen dafür sorgten, dass die Intensivstationen belegt seien, was die Gesamtbevölkerung im Kollektiv belasten würde. Doch dieses Argument hinkt nach heutigen Datenlagen. Dank vergleichsweise strenger Pandemie-Maßnahmen und weitgehend überstandener Omikron-Welle droht hierzulande aktuell keine Überlastung des Gesundheitssystems. So äußert etwa die Deutsche Krankenhausgesellschaft „erhebliche Zweifel an einer kommenden Überlastung des Gesundheitssystems durch das Corona-Virus.“
Wir können das Virus weder durch weitere Maßnahmen für immer entfernen, noch können wir jedes Individuum in Helikopter-Manier vor einer Infektion schützen. Stattdessen müssen wir lernen, mit dem Virus statt gegen das Virus zu leben. Dazu gehört es, den Menschen selbst die Freiheit zu geben, ob sie sich gegen das Virus impfen und somit schützen lassen wollen – oder ob sie eigenverantwortlich das Risiko durch die Ablehnung einer Impfung eingehen wollen. Dabei sind die Gründe, die Menschen gegen eine Impfung anführen, vielfältig. Man muss diese Gründe nicht teilen, aber man sollte Menschen nicht pauschalisieren und als „Querdenker“ abstempeln, wenn sie sich nicht impfen wollen. Sicherlich gibt es unter den Ungeimpften einige Personen, die per se gegen das Impfen sowie jegliche staatliche Institutionen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung und unsere Strukturen sind und sich, mit wirren Gedanken begleitet, als „Widerstandskämpfer“ bezeichnen. Doch wir würden es uns viel zu einfach machen, alle Menschen, die sich nicht impfen lassen, pauschal mit dieser Gruppe gleichzusetzen. Von religiösen Gründen über psychologische Komponenten haben manche Menschen Beweggründe gegen das Impfen, die vielleicht keine wissenschaftliche Fundierung besitzen, für diese Menschen aber durchaus plausibel erscheinen. Wer wären wir, würden wir aus dem Meinungspluralismus einen Meinungs-Monismus machen?
Zudem die Frage aufkommen muss, wie eine allgemeine Impfpflicht durchzusetzen wäre. Mit großer Sicherheit würde hier mit Bußgeldern gehandhabt werden. Doch bereits hier kommen unzählige, ungelöste Fragen auf. Brauchen wir ein einheitliches Impfregister? Wie sähe dieses aus? Wie hoch setzen wir Bußgelder für Ungeimpfte? Was geschieht mit ärmeren oder sozial benachteiligten Menschen, die ein solches Bußgeld nicht zahlen könnten? Benachteiligen wir dann benachteiligte Menschen, indem wir ihnen ihre Freiheit nehmen, wenn sie schon kein Bußgeld zahlen können? Wie effektiv sind Bußgelder, wenn sich im Gegenzug vermögende Menschen theoretisch ihre Freiheit erkaufen können? All diese ungelösten Fragen, in Kombination mit der sozialen Spaltung, die eine allgemeine Impfpflicht mit sich brächte, zeigen deutlich, dass Impfungen freiwillig bleiben müssen und der Staat aufklären statt belehren sollte. Impfen hilft und ist wichtig, doch nicht alles, was gut und richtig ist, wird auch von jedem angenommen. Wir können die Menschen ansprechen, wir können für Impfungen werben, doch schlussendlich bleibt jeder seines Glückes Schmied.